Andy Warhol war gestern – heute ist Maaike Dirkx. Die Hamburger Künstlerin arbeitet mit knusprigen Sachen und nackten Körpern. Sie malt mit Öl und entert Supermärkte. Undercover war ich mit ihr auf Tour, das Ergebnis ist ein Fotoreport – live und in Farbe. Eine Geschichte über “Guerilla-Kunst” aus St. Pauli, also von da, wo Hamburg frech und frivol ist. So wie die Pop-Art von Maaike Dirkx, der gebürtigen Niederländerin.
“Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du’n Mädel hast oder hast kein’s” – jeder kennt das berühmte Lied, unter anderem gesungen von Hans Albers. Nacht ist es zwar nicht, aber um halb eins sind wir verabredet, immerhin. Mein Mädel heißt Maaike und Treffpunkt ist die Boutique Bizarre, der bekannteste Sexshop auf St. Paulis sündiger Meile. Um „neue Wege der Lust“ geht es dort bei der Warenauswahl, für unser Vorhaben ist jedoch nicht das passende dabei. Dildos und sonstigen Kram lassen wir daher hinter uns, neues Ziel ist ebenfalls ein Kaufhaus, aber eines mit einem ganz anderen Sortiment.
Inhalte
Pin-up-Girls auf Cerealien
Nicht jeder Einkaufsladen ist geeignet, erzählt Maaike, während wir die Reeperbahn über eine Seitenstraße verlassen. Manche Märkte hätten eigene Marken und die taugen nicht für die Zwecke der Künstlerin. Bei Edeka oder Rewe hingegen, da passt es, und zwei, drei Ecken weiter kapern wir sogleich eine solche Filiale. Unauffällig orientieren wir uns dorthin, wo Krispies, Smacks und Frosties warten, Cerealien genannt im findigen Fachjargon der Werbeindustrie. Den bunten Packungen von Cornflakes & Co. gilt das Interesse der Pop-Art-Künstlerin, also den Getreideflocken, die ursprünglich gedacht waren als Mittel gegen Masturbation. Cornflakes und Selbstbefriedigung, was hat es damit auf sich? Keine Sorge, wir werden das Thema später noch vertiefen.
Routiniert greift Maaike ins Regal, um sich eine Schachtel ihrer Wahl zu schnappen. Und, ratzfatz, ist diese auch schon mit dem eigenen Aufkleber versehen. Aus Kellog´s wird flugs Flakes Store und die Hauptdarstellerin auf der Verpackung ist jetzt eine sinnlich-kokett dreinblickende junge Dame. Tony, der Tiger, bislang hatte die Raubkatze begehrlich auf das abgebildete Getreideprodukt geglotzt, blickt nun lüstern zum halbnackten Model. Und schiebt dabei eine der mächtigen Tatzen wollüstig zwischen die Beine des Mädels.
Noch einmal wiederholt sich die Prozedur: her mit der Packung, rauf mit dem Sticker und wieder zurück ins Regal das ganze. Das wars für heute, ein wenig Kultur ist unter die Hamburger Konsumentenschaft gebracht, auf Zelluloid gebannt die Guerilla-Aktion und schnurstracks verlassen die Protagonisten den Ort der kreativen Supermarkt-Attacke. Nicht immer übrigens geht die Kunst-Aktion so reibungslos vonstatten, Maaike weiß von Aufgriffen durch aufmerksames Sicherheitspersonal zu berichten. Manchmal gibts dann Sympathie für das originelle Wirken. Oder aber Hausverbot.
Zu ergänzen ist noch, was den Findern der auf diese Weise veredelten Flakes-Pakete blüht. Dem aufmerksamen Käufer dieses Unikates winkt ein Preis aus der Kollektion der Künstlerin, wenn er sich bei Maaike meldet, Infos dazu enthält der Aufkleber.
Macht poppen krank?
Zurück zum Thema Masturbation. Knusprige Cerealien als Anti-Onanie-Präparat, was ist da los? Werfen wir einen Blick zurück. Ende des 19. Jahrhunderts verschreibt sich der US-amerikanische Arzt John Harvey Kellogg dem Kampf gegen die Übel der Zeit. Schlechte Ernährungsgewohnheiten und allgemeiner Sittenverfall sind dem guten Mann ein Dorn im Auge. Alkoholgenuss und Fleischverzehr, das Trinken von Kaffee sowie die Verwendung von Gewürzen seien schädlich und daher zu vermeiden, so seine Devise. Und gleiches gelte auch für das Ausleben jeglicher Form von Sexualität. Sex schwäche den Körper und mache ebenfalls krank. Doch damit nicht genug, die genannten Genüsse förderten sogar noch die verdammte Wollust, was für ein fataler Teufelskreis!
Aber die Rettung ist nah und diese besteht eben aus besagten Cerealien. John Harvey hat noch einen Bruder und gemeinsam tüfteln die Kellogg Brothers mit Getreide. Was kommt dabei heraus? Cornflakes, geschmacksneutral und (zunächst) zuckerfrei. Ein probates Mittel also für die Gesundheit der Verbraucher, gleichzeitig höchst wirksam gegen die leidige Fickerei und Masturbation. Wer die spröden Flocken futtert, hört auf zu vögeln und zu onanieren, so jedenfalls die Theorie.
Kellogg´s Zoff um Zucker
Allerdings hat John Harvey die Rechnung ohne Bruderherz Will Keith gemacht. Der nämlich frevelt heimlich und tut Zucker, das Teufelszeug, zu den Flakes und vorbei ist es mit der vermeintlichen “Zauberwirkung”. Stattdessen gibts Zoff unter den Brüdern, sie wechseln fortan nie wieder ein Wort und jeder der beiden Getreidestrategen geht seinen eigenen Weg. W.K. produziert weiter erfolgreich das zuckerhaltig-chrunchige Zeug, dessen bunte Verpackungen gut einhundert Jahre später auf die Pop-Art-Künstlerin Maaike Dirkx treffen werden, während John Harvey mit Sojaprodukten experimentiert.
Darüber hinaus lässt der Mann nicht locker im Kampf gegen die böse Fleischeslust und arbeitet an obskuren Strategien gegen diese. Betäubungslose Beschneidungen oder klitorale Säurebehandlungen etwa gehören dazu. Davon, dass sich etwas von diesem Irrsinn durchgesetzt hätte, ist nichts bekannt, und das ist auch gut so. Gegenteiliges gilt hingegen für die knusprigen Flocken des Bruders, natürlich, denn sonst gäbe es ja keinen zwingenden Grund, an dieser Stelle über die Herren zu berichten. Damit aber genug zum Thema Kellogg Brothers, es ist an der Zeit, zum Wesentlichen zurückzukehren, nämlich zur Künstlerin!
Maaike Dirkx – die Geschichte der Künstlerin
Maaike Dirkx ist von Haus aus Kunsttherapeutin und hat schon in frühen Jahren ihre Leidenschaft für das kreative Schaffen entdeckt. Mit 12 Jahren geht es dann endgültig los, vom Vater bekommt sie einen Ölmalkasten geschenkt. Das erste Werk der angehenden Künstlerin, Landsmann Vincent van Gogh sorgt für die Inspiration, ist eine Berglandschaft mit See und hängt noch immer im Haus der Eltern. Und bei der Ölmalerei ist es ja auch bis heute geblieben, nur die Motive haben sich geändert. Ein Faible für moderne Pin-ups hat Maaike Dirkx inzwischen entwickelt, ihr Ziel ist die selbstbewusste Darstellung von Frauen.
Ob die frechen Abbildungen nicht auch als Sexismus ausgelegt werden könnten, will ich wissen, worauf Maaike sogleich energisch widerspricht. Es fänden sich schließlich auch einige Quotenmänner unter ihren Werken, sagt sie augenzwinkernd. Außerdem seien die abgebildeten Damen natürlich ein Wunschbild, sie habe nun mal keine Lust, Cellulite zu malen. Die Darstellung müsse ja nicht unbedingt echt sein, und vor allem aber gehe es ihr um Ästhetik. Viel Zuspruch erhalte sie im Übrigen gerade von Frauen. Nur jemand wie Alice Schwarzer, die eingefleischte Feministin, hätte sicher eine andere Meinung zu ihrem Tun. Von der Dame würde sie wohl gelyncht werden, fügt Maaike lachend hinzu.
Es schließt sich der Kreis, von St. Pauli, das bunt bunt und vielfältig ist, und frivol an manchen Stellen, hin zur Künstlerin Maaike Dirkx, die mit frechen Werken spannender Teil der Hamburger Kunstszene ist. Und auch das Publikum mit ihrer Arbeit zu begeistern weiß, wovon ich mich anlässlich der Vernissage in der grandiosen Galerie popstreet.shop im Hamburger Karoviertel selbst überzeugen konnte.
Nur der verklemmt-verschrobene Kellog-Bruder John Harvey mit seinen verkorksten Ideen dürfte sich im Grabe umdrehen angesichts der nackten Tatsachen auf seinen Flocken. Kritisches Feedback gibts übrigens auch aus den eigenen Reihen, eine konkrete Beanstandung aus dem Kreis von Maaikes Schülerinnen. Nicht wegen der Nacktheit als solcher, die ist nicht etwa das Problem. Aber dass bei manchen der abgebildeten Damen Schamhaare zu sehen seien, wurde moniert – das ginge nämlich gar nicht, merkt eine 15-jährige an!
Maaike Dirkx – die Künstlerin auf einen Blick
- Internet: auch in den Weiten des world wide web ist Maaike Dirkx zu finden, bei Instagram und Facebook. Und auf der eigenen Website natürlich ebenfalls.
- Ausstellung: Pop-Art aus Hamburg, Flakes Store by Maaike Dirkx, lief bis Mitte September 2018 in der Galerie Popstreet.shop, Glashüttenstraße 105, Karolinenviertel / St. Pauli (Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag 12–19 Uhr, Samstag 12–18 Uhr). Ein Besuch dort lohnt sich immer – für alle, die interessiert sind an Street Art, Pop Art oder Urban Art.
Artigsten Dank für deinen Besuch und die starke Berichterstattung über den Flakes Store von Maaike Dirkx und ihre Ausstellung in der Galerie popstreet.shop! Die Passanten bleiben vor den Schaufenstern mit Maaikes Werken stehen und freuen sich – es knuspert halt gewaltig inmitten von Flakes, Pops und Zimties!
Gern. Und bestimmt komm ich bald mal wieder rum, Hamburg ist ja nicht aus der Welt und gänzlich fertig bin ich mit der Hansestadt auch noch nicht, da gibts ja neben Pop Art noch mehr Art (Urban Art, Street Art)! 😉
Wow! Cooler Artikel, toll & aufschlussreich geschrieben.
Die Ausstellung kann ich im übrigen nur wärmstens empfehlen!!
Schönen Dank für “die Blumen”, Nicoletta! 😉