Die Azoren gehören zu den interessantesten Zielen für Wal-Fans. Walbeobachtung zählt daher zu den beliebtesten Aktivitäten für Besucher der Atlantikinseln. Auf São Miguel habe ich an einer Whale-Watching-Tour teilgenommen und außerdem mit Neide Margarido gesprochen, die dort als Naturschutzbiologin arbeitet. Denn auch Tierschutz ist natürlich ein wichtiges Thema, wenn es um Wale geht.
Am Ende des Dramas zieht der Wal seinen fanatischen Verfolger mit sich in die Tiefen des Ozeans, Moby Dick siegt über den besessenen Jäger. Die Geschichte von Kapitän Ahab und dem weißen Pottwal beruht auf Mythen und wahren Begebenheiten und zählt zu den Klassikern der Weltliteratur. In Wirklichkeit waren jedoch die Wale die Verlierer, sie wurden Jahrhunderte lang harpuniert und zu Tode gehetzt. Um das Fleisch anschließend zu Steaks zu verarbeiten. Oder um Margarine, Seife, Schmierstoff oder Viehfutter aus den riesigen Fleischbergen herzustellen.
Inhalte
- 1 Vom Walfang zum Wal-Tourismus
- 2 Walsaison auf den Azoren
- 3 Artenvielfalt in azorischen Gewässern
- 4 Whale-Watching-Tour auf São Miguel
- 5 Wogende See und springende Delfine
- 6 Fragen an die Biologin
- 7 Waltourismus und Naturschutz
- 8 Der Ozean ist kein Zoo
- 9 Walbeobachtung auf São Miguel | Infos & Tipps
Vom Walfang zum Wal-Tourismus
Mitte des 18. Jahrhunderts kamen US-amerikanische Walfangboote auf die Azoren und heuerten Inselbewohner für die Jagd auf die großen Meeressäuger an. Später nahmen die Azoreaner das blutige Handwerk dann selbst in die Hand und die Wal-Saison dauerte jedes Jahr von April bis November. Ein neuer Wirtschaftszweig entstand, 1987 war jedoch Schluss mit dem Gemetzel. Ein Jahr zuvor hatte die Internationale Walfang-Kommission nämlich den Fang von Walen zu kommerziellen Zwecken verboten. Weltweit waren bis dahin Millionen Tiere getötet worden und manche Arten standen kurz vor der Ausrottung. Walfang, also Thema einer vergangenen Zeit? Nein, denn nicht überall hält man sich an das Verbot. Auch heute noch wird den gefährdeten Tieren nachgestellt und Norwegen gilt als größte Walfangnation, vor Japan und Island, ein trauriger Spitzenplatz.
Auch auf den Azoren sind Wale inzwischen zwar wieder ein Thema, gejagt wird jedoch nicht mehr. Dafür gehört für Tierfreunde seit 1993 die Beobachtung der unter Naturschutz stehenden Meeresriesen zu den spannenden Attraktionen. Whale Watching statt Walfang heißt es nun auf den portugiesischen Atlantikinseln. Und nicht nur für CNN gehören die Azoren zu den weltweit besten Orten für Walbeobachtung – neben Kanada, Mexiko, Australien oder der Antarktis.
Walsaison auf den Azoren
Im South Luangwa Nationalpark von Sambia hatte ich bereits viele Tiere in freier Wildbahn sehen können und anschließend in Botswana gab es vor allem spannende Erlebnisse mit Elefanten. Sollte es nun also möglich sein, auch einmal die Riesen der Meere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten?
Veranstalter von Whale-Watching-Touren in Ponta Delgada sind direkt an der Marina, dem Hafen der Azoren-Hauptstadt, zu finden (Hinweis: Details zu den Anbietern enthält der Infoteil am Ende dieses Artikels). Bei Picos de Aventura erfahre ich, dass manche Walarten sogar ganzjährig in den Gewässern rund um die Inseln zu finden sind. Eine überraschende Info, die ich zum Anlass nehme, mich sogleich in den nächsten Ausflug, zwei Tage später, einzuklinken. Eigentlich hatte ich gar nicht damit gerechnet, dass auch jetzt, Mitte Dezember, Wale zu sehen sind.
Artenvielfalt in azorischen Gewässern
Beinahe 30 verschiedene Walarten gibt es in den Gewässern rund um die Azoren. Inklusive Delfine, auch die gehören nämlich zur Familie der Wale. Nährstoffreiche Strömungen und die Tiefe des Ozeans von mehreren tausend Metern sorgen für optimale Lebensbedingungen. Kein Wunder also, dass einige Arten das ganze Jahr über vor Ort bleiben, anstatt sich auf die Wanderung zu anderen Zielen zu begeben. Am häufigsten zu sehen sind Pottwale, außerdem können Pilotwale und Finnwale beobachtet werden. Und bisweilen sogar Blauwale, die größten Tiere, die jemals auf der Erde gelebt haben.
Blauwale können bis zu 200 Tonnen schwer werden, sagenhafte 200.000 kg also, was dem Gewicht von mindestens 30–40 Elefanten entspricht. Wer könnte sich angesichts derartiger Superlative der Faszination dieser Meeresbewohner entziehen? Dass die Riesen, obwohl so groß wie ein Airbus A320, trotzdem nicht die längsten Lebewesen sind, gehört zu den weiteren spannenden Fakten rund um den Blauwal. Übertroffen wird er nämlich vom auf dem Meeresboden beheimateten Schnurwurm mit einer Länge von bis zu 35 m. Wer hätte das gedacht? Den Rekord soll sogar ein 1864 gefundenes 55-Meter-Exemplar halten. Jedenfalls dann, wenn dieser Wurm nicht aus Seemannsgarn gesponnen wurde.
Whale-Watching-Tour auf São Miguel
Morgens um 9 Uhr geht es los, eine halbe Stunde vorher gibt es jedoch zunächst noch eine Einweisung. Das Briefing beginnt mit einem geschichtlichen Abriss über den Walfang und es folgen Instruktionen zur Walbeobachtung, insbesondere über Maßnahmen zum Schutz der Tiere. 50 Meter Mindestabstand sind zum Beispiel einzuhalten, es sei denn, die Tiere sind neugierig und kommen von sich aus näher. Ausschau gehalten wird nach den Walen übrigens vom Land aus – noch immer von den gleichen Aussichtspunkten, an denen damals für Jagdzwecke gespäht wurde. Per Funk wird die Position der entdeckten Tiere von dort an die Boote weitergegeben. Der Unterschied zu früher: statt mit Harpunen sind die “Jäger” inzwischen mit Kameras bewaffnet.
Nachdem Regenjacken und Schwimmwesten ausgeteilt sind, geht es hinaus aufs offene Meer. Hinein in die Welt der Cetacea, so der wissenschaftliche Oberbegriff für die im Meer lebenden Säugetiere, also sämtliche Wal- und Delfinarten. Kaum vorstellbar, dass jemand von den Teilnehmern nicht faszinierende Bilder vor Augen hat, von springenden Walen oder von riesigen aus dem Wasser ragenden Schwanzflossen. Als eindrucksvolle Belege der Walbeobachtung, eingefangen mit dem eigenen Fotoapparat. Zunächst jedoch werden Selfies gemacht, lachende Gesichter vor dem Hintergrund des unergründlichen Ozeans und des in der Ferne schmaler werdenden Küstenstreifens von São Miguel.
Wogende See und springende Delfine
Das Meer ist unruhig, das vom Skipper umsichtig gesteuerte Boot wird ungezählte Male von mächtigen Wogen emporgehoben, um gleich darauf wieder in das nächste Wellental abzukippen. Was für ein abenteuerlicher Ritt! Kaum vorstellbar, dass sich inmitten dieser rauen See die sehnsüchtig erwarteten Meeressäuger blicken lassen. Dann, auf einmal, ist es aber doch soweit, Delfine in Sicht! Während manche Tiere flink mit der Bugwelle des Bootes schwimmen, springen andere in einiger Entfernung fröhlich aus dem Wasser. Und auf dem Boot lässt die Reaktion nicht lange auf sich warten, das anmutige Schauspiel entlockt so manchem Beobachter ein begeistertes Jauchzen.
Später treffen wir eine weitere Gruppe Delfine, nur die Wale bleiben verborgen, irgendwo in den unendlichen Meerestiefen. Und als es anschließend wieder zurück geht, Richtung Heimathafen Ponta Delgada, schauen die meisten Passagiere gar nicht mehr so munter aus der Wäsche. Vorbei ist die anfängliche Unbekümmertheit der Selfie-Liebhaber ein paar Stunden zuvor. Die unruhige See hat ihre Wirkung nicht verfehlt, das Unwohlsein mit dem Namen Seekrankheit ist die Folge des andauernden Schaukelns.
Ob meine von Übelkeit geplagten Mitpassagiere es genau so sehen, kann ich nicht sagen, aber für mich war die Whale-Watching-Tour ein spannendes Erlebnis, auch ohne Wale. Mit dem Abenteuer Bootsfahrt, gerade weil die See so rau war. Dazu mit dem Erlebnis, auf die munteren Delfine zu treffen. Wo wäre da Raum für Enttäuschung? Und, um ehrlich zu sein, erwartet hatte ich das Erscheinen von Walen ohnehin nicht. Denn, auch wenn es im Dezember nicht auszuschließen ist, die beste Zeit für die Beobachtung sind nun doch eher die Monate zwischen April und Oktober. Also etwa der Zeitraum, in dem einst auch die Walfänger ihrem Handwerk nachgingen.
Fragen an die Biologin
Als Neide Margarido zum ersten Mal die Azoren besuchte, war es Liebe auf den ersten Blick. Inzwischen arbeitet die aus Leiria, einer Stadt auf dem portugiesischen Festland, stammende Naturschutzbiologin für Picos de Aventura, den Veranstalter, der neben Walbeobachtung diverse weitere Aktivitäten anbietet.
Neide, von Teneriffa habe ich nichts Gutes zum Thema Whale Watching gehört. Dutzende Boote sollen dort täglich unterwegs sein, teilweise beschallt mit lauter Musik und beladen mit vielen alkoholisierten Passagieren. Die fahren dann manchmal direkt in Walfamilien hinein, stören die Tiere und verletzen sie möglicherweise sogar. Wie sieht es mit dem Schutz von Walen und Delfinen auf den Azoren aus?
Zunächst einmal gibt es auf jeder Insel für Whale-Watching-Anbieter nur eine begrenzte Anzahl von Lizenzen, die von der Regierung festgelegt wird. Das ist eine gute Sache, da so die Zahl der Boote, die derartige Aktivitäten unternehmen dürfen, eingeschränkt ist. Segelboote können zum Beispiel keine Walbeobachtungstouren durchführen. Außerdem gibt es regionale Vorschriften, Verhaltensregeln für alle Anbieter von Bootsausflügen. Darüber wird ja auch im Rahmen des Briefings vor jeder Tour gesprochen, damit jeder weiß, dass sich alle Boote ordnungsgemäß verhalten.
Bei Picos de Aventura ist außerdem in jedem Boot ein Biologe anwesend. Zuständig dafür, den Leuten Informationen zu den Tieren zu geben, über ihr Verhalten und ökologische Aspekte. Und in dessen Verantwortung liegt auch die Entscheidung, wann es Zeit ist, den Standort zu wechseln. Es ist wichtig, zu vermeiden, dass zu viele Boote auf einmal vor Ort sind, damit die Wale nicht deswegen ihr Verhalten ändern. Und es liegt im Interesse der Walbeobachtungsunternehmen selbst, diese Regeln zu befolgen, denn wenn die Tiere ihr Verhalten erst einmal geändert haben, wäre es nicht mehr so einfach, sie zu beobachten. Sie würden den Kontakt mit den Booten vermeiden und das träfe dann alle Veranstalter.
Wie erfolgt die Überwachung dieser Regeln?
Die Anbieter von Waltouren und ihre Aktivitäten werden von den Behörden überwacht, auch wenn diese durchaus noch etwas aktiver sein könnten. Außerdem kontrollieren sich die veranstaltenden Firmen auch gegenseitig, denn wir sind es ja, die jeden Tag draußen auf dem Meer sind. Die Situation, wie Du sie in Teneriffa beschreibst, ist also, jedenfalls aktuell, mit den Azoren überhaupt nicht vergleichbar.
Waltourismus und Naturschutz
Abschließend weist Neide darauf hin, dass viele Walarten noch immer vom Aussterben bedroht sind und es daher wichtig ist, auch mit kleinen Dingen etwas zum Schutz der Tiere beizutragen. Etwa, wenn es um die Entsorgung von Müll oder den Gebrauch von Plastik geht. Bei sensiblem Umgang mit den Ressourcen seien Tourismus und Naturschutz durchaus kein Widerspruch, fügt sie hinzu. Und berichtet ergänzend von einer außergewöhnlichen Begegnung mit einer Gruppe von Pottwalen. Ende September leisteten neugierige Tiere dem Whale-Watching-Boot ungewöhnlich lange Gesellschaft, das dabei entstandene Video wird auf der Facebook-Seite von Picos de Aventura später tausendfach angeklickt. Und auch einige Medien greifen das eindrucksvolle Zusammentreffen auf, berichtet Neide Margarido. Ein anschauliches Beispiel dafür, wie das Beobachten von Walen auf ökologisch verträgliche Weise erfolgen kann.
Der Ozean ist kein Zoo
Viele Infos nehme ich mit von meiner ersten Whale-Watching-Tour. Und die Absicht, es bei nächster Gelegenheit erneut zu versuchen – bei einer Rückkehr auf die Azoren oder anderswo. Und ganz sicher mit geschärftem Blick für die Bedingungen, unter denen die Walbeobachtung abläuft. Denn die Verpflichtung für eine nachhaltige Umsetzung liegt zwar bei den Veranstaltern, aber auch die Touristen tragen einen Teil der Verantwortung dafür, die Tiere nicht unnötig zu stören. Waltourismus ist schließlich auch ein lukratives Geschäft, das außer Kontrolle geraten kann, die Folgen des Massentourismus auf Teneriffa lassen grüßen. Und wenn das passiert, sind wieder die Tiere die Gehetzten, wie bei Moby Dick. Und die Verlierer, wie beim Walfang.
Was außerdem nicht zu vergessen ist: der Ozean ist kein Zirkus, in dem dressierte Tiere vorgeführt werden. Und er ist auch kein Zoo mit eingesperrten Kreaturen. Der Ozean ist viel mehr, er ist ein wichtiger Lebensraum, den es zu bewahren gilt.
Walbeobachtung auf São Miguel | Infos & Tipps
In Ponta Delgada finden sich mehrere Veranstalter von Whale-Watching-Touren (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Noch eine Art Geheimtipp scheint der Anbieter im Fischerdorf Mosteiros zu sein:
Auch von weiteren Azoren-Inseln aus werden Whale-Watching-Touren gestartet, etwa von Faial und Pico.
Lesetipp / weitere Quellen zum Thema Walbeobachtung:
- Verantwortungsbewusster Umgang mit Whale Watching
- Interview mit einem ehemaligem Walfänger auf der Azoreninsel Pico
0 Kommentare zu “Azoren: Whale Watching – auf den Spuren von Moby Dick”