In Portugal gehören Azulejos zur Architektur wie der Eiffelturm zu Paris. Auch in Porto sind die bunten Kacheln Teil des Stadtbildes, viele Wände jedoch beschädigt. Mit Joana de Abreu kämpft indes eine außergewöhnliche junge Frau leidenschaftlich für die Erhaltung dieses kulturellen Erbes, “Preencher Vazios” lautet der Name ihres Projekts. Ich habe Joana in Porto getroffen.
Um es vorweg zu nehmen: “Preencher Vazios” bedeutet so viel wie das Ausfüllen von Lücken. Es geht dabei um Zwischenräume an Hauswänden, entstanden durch das Fehlen einzelner Azulejos. Die Keramikfliesen, mit blumigen Ornamenten oder anderen Motiven geschmückt, sind ein Relikt der Mauren, die vor hunderten von Jahren den Großteil der iberischen Halbinsel eroberten. Längst jedoch gelten Azulejos als typisch portugiesisch, sie sind an Bahnhöfen zu finden, zieren Kirchen und öffentliche Gebäude, schmücken aber auch ganz normale Wohnhäuser.
An manchen Bauwerken sind mitunter sogar komplette Gemälde mit aufwendigen historischen Darstellungen zu bewundern – viele kleine Vierecke, zusammengesetzt zu riesigen Kunstwerken. Eines der bekanntesten Beispiele: die Estação de São Bento, für deren Gestaltung mehr als 20.000 Azulejos verwendet wurden. Kein Wunder also, dass der berühmte Bahnhof zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten und beliebtesten Fotomotiven von Porto gehört. Auch als Souvenir werden antike Einzelstücke übrigens feilgeboten – ein Thema, das später noch zu vertiefen ist.
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Besuch bei Joana de Abreu
Über den Klingelschildern neben der Haustür befindet sich eine einzelne farbige Kachel, ähnlich denen, die in den Straßen von Porto meine Neugier geweckt hatten. “Preencher Vazios” lautet die Aufschrift, es besteht kein Zweifel, hier bin ich richtig! Um die Frau zu treffen, die diese Azulejo-Nachbildungen fertigt, mit denen anschließend ramponierte Fassaden geflickt werden. Und um der Frage nachzugehen, was es mit den quadratischen Teilen überhaupt auf sich hat.
Auffällig ist übrigens, dass die Ersatzstücke genau in die vorhandenen Lücken passen. Sie weisen sogar das richtige Muster auf, heben sich farblich jedoch deutlich ab. Ein weiterer Unterschied: Sie sind aus Holz, nicht aus Keramik wie die Originale. Außerdem sind sie mit Versen beschriftet, deren Bedeutung sich mir auf Anhieb nicht erschließt – leider hapert es bei mir an der Sprache. Jetzt aber bin ich dicht davor, die Geheimnisse zu lüften. Ich stehe bei Joana de Abreu vor der Tür und bin gespannt auf die Geschichten, die sie zu erzählen hat. Das Hashtag #preenchervazios und die anschließende Recherche im Internet hatten mich auf die richtige Spur gebracht.
Masterarbeit und Herzensangelegenheit
Valongo, eine Gemeinde nordöstlich von Porto, ist der Heimatort von Joana de Abreu. Von dort führte der Weg sie regelmäßig nach Porto, zur Universität, wo sie den Masterstudiengang für Kunst und Design belegt hatte. Zum täglichen Ritual wurde dabei die Ankunft am Bahnhof, wo der prachtvolle Anblick der zahllosen Azulejos offenbar eine prägende Erfahrung war. Denn auf dem anschließenden Weg zur Uni tat es der Studentin in der Seele weh, die kaputten Stellen an vielen Hauswänden zu entdecken. Es entstand der dringende Wunsch, etwas gegen die Zerstörung des traditionellen Kulturgutes zu unternehmen und daraus schließlich die Idee für ihre Masterarbeit. Der Startschuss für das Projekt “Preencher Vazios”, für Joana eine echte Herzensangelegenheit!
Hinter den Kulissen von “Preencher Vazios”
Hat Joana auf der Straße ein neues Zielobjekt entdeckt, hält sie die betreffende Stelle zunächst mit der Kamera fest, wobei die Lücke zusätzlich noch mit dem Maßband vermessen wird. Weiter geht es anschließend am Computer, wo, wie leicht zu erkennen und ja auch schon erwähnt, das Muster der Azulejos detailgetreu übernommen wird, die Farbe jedoch verändert. Um Aufmerksamkeit zu erregen, erklärt Joana, das sei schließlich das Ziel ihrer Arbeit. Aus dem gleichen Grund füge sie noch einen Spruch aus der Feder bekannter portugiesischer Schriftsteller hinzu, in ausgedruckter Form wird das ganze dann auf eine passende Holzfliese geklebt. Abschließend noch lackiert, kommt das fertige Produkt am vorgesehenen Ort zum Einsatz und wird dort mit Leim fixiert.
Kampf dem Vandalismus
Ich solle einmal die Azulejos genau unter die Lupe nehmen, die den Touristen vielerorts zum Verkauf angeboten werden. Ich werde feststellen, dass es sich bei den typisch portugiesischen Mitbringseln ausnahmslos um gebrauchte Exemplare handelt, die Spuren auf der Rückseite verraten es. Und natürlich gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, auf welche Weise die bunten Souvenirs in den lukrativen Handel gelangen. Durch Joanas Hinweise sensibilisiert, sollte ich später die Bestätigung finden. Nicht auf der Feira da Vandoma, dem samstäglichen Flohmarkt, draußen in Campanhã, wo die Einheimischen weitgehend unter sich sind. Dafür jedoch umso mehr auf anderen Märkten und in Läden an zentralerer Stelle in Porto.
“Ich habe niemals etwas vom Leben erwartet. Das ist der Grund, warum ich alles habe.”
(José Saramago)
Die Moral von der Geschichte: keine Unterstützung des Vandalismus, Hände weg von gebrauchten Azulejos! Das ist die Botschaft von Joana de Abreu und wer möchte bezweifeln, dass auch berühmte Landsleute von ihr dieses große Thema unterstützen würden, wären sie nicht bereits verstorben. Zu nennen sind Dichter und Schriftsteller wie der Nobelpreisträger für Literatur, José Saramago, oder Fernando Pessoa, einer der bedeutendsten Literaten des 20. Jahrhunderts. Mit ansprechenden Zitaten werden jedoch auch sie von Joana mit eingebunden, eine grandiose Idee!
Vier Jahre “Preencher Vazios”
Start des Projekts war übrigens im Jahr 2014, die Masterarbeit ist inzwischen längst abgeschlossen, erfolgreich selbstverständlich. Dennoch ist kein Ende in Sicht. Ganz im Gegenteil, Joana hat viele neue Ideen bei ihrem unermüdlichen Einsatz für die Bewahrung des kulturellen Erbes. Bestärkt wird sie durch das positive Echo: In den sozialen Netzwerken verfolgen tausende von Menschen ihre Arbeit und auch im Fernsehen wurde schon über “Preencher Vazios” berichtet. Ihre Aktivitäten hat Joana sogar in die Hauptstadt Lissabon ausgeweitet, außerdem veranstaltet sie Workshops und die bunten Holzfliesen sowie andere Accessoires mit typischem Azulejo-Muster sind inzwischen auch per Versand erhältlich. Eine Idee geht um die Welt, ein bisschen zumindest.
Festzuhalten bleibt, “Preencher Vazios” ist ein bemerkenswertes Projekt einer beeindruckenden Frau. Von Joana de Abreu, die als Künstlerin ihre Botschaft in Form von außergewöhnlicher Street Art in die Öffentlichkeit trägt. Die eine überaus engagierte Aktivistin für eine gute Sache ist. Und eine äußerst charmante Person übrigens auch.
Joana de Abreu und die Azulejos von Porto – auf einen Blick
Im Internet ist Joana de Abreu mit ihrem Projekt bei Facebook und bei Instagram zu finden.
Azulejos in Porto?
Die Estação de São Bento wurde mehrfach erwähnt. Porto verfügt außerdem über viele Kirchen, einige davon gehören zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten, auch dort sind Azulejos zu bewundern. Zu nennen: Igreja do Carmo, Igreja de Santo Ildefonso oder Capela das Almas, aber auch die Kathedrale Sé do Porto. Ergänzende Leseempfehlungen berichten über die besten Orte für Azulejos in Porto (auf Englisch) und Portos schönste Kirchen. Insidertipp: die vorgenannten Attraktionen gehören zum Standardprogramm für Besucher der Stadt, wer das “echte” Porto erleben will, sollte sich außerhalb der Touristenströme bewegen, zum Beispiel aufmerksamen Blickes in Bonfim oder Campanhã durch die Straßen laufen, wo alte Häuser, manche gepflegt, andere verfallen, zu finden sind. Mit Azulejos, natürlich, einige Impressionen liefert die abschließende Fotostrecke.
Geheimnisse von Porto: Lesetipps
Blicke hinter die Kulissen von Porto, beim vorliegenden Artikel handelt es sich um den dritten Text dieser Art, er reiht sich ein in die Serie folgender Reportagen:
- Artur Oliveira, der letzte Drechsler von Porto
- Der alte Mann & die Brücke, zwei Wahrzeichen von Porto
Weitere Geschichten über interessante Menschen und spannende Themen aus Porto, in Verbindung mit Kunst oder Kultur, werden an dieser Stelle folgen.
Azulejos in Porto – Galerie
Azulejos sind ein Wahrzeichen Portugals, ein Bericht über das Thema verlangt nach bunten Bildern, im Text bereits zahlreich enthalten. Zwölf weitere Aufnahmen, eine Auswahl aus hunderten von Fotos, schließen die Geschichte ab.
Oh wow! Ich finde dieses Projekt wirklich spitze! Seit ich letztes Jahr mein Herz an Portugal verloren hab, sind mir die Azulejos auch eindrücklich in Erinnerung geblieben. Danke, dass du darüber berichtet hast! Lg Barbara
Herzlichen Dank, Barbara, freut mich, dass es Dir gefällt! 😘 Und ja, Portugal, eines meiner Lieblingsländer, ist wahrlich gut geeignet, um sein Herz dort zu verlieren …
Was für ein hochinteressanter Artikel! Gleich aus mehrerlei Hinsicht! Zum einen das Projekt von Joana de Abreu, ihr Einsatz, die Entstehungsgeschichte, das Vorgehen, der Effekt, die Intention! Zum anderen aber auch die erschreckende Tatsache, dass für gebrauchte Azulejos für die Touristen sogar Fassaden ruiniert werden (Vandalismus) und die lückenhaften Kachelwände gerade hier ihren Ursprung haben .…
Der Bericht hat mir – inkl. der beigefügten Aufnahmen – sehr gefallen!
LG Michèle
Vielen Dank, Michèle! 😘