Libanon

Jean-Marc Nahas: Kunst und Krieg im Libanon

Jean-Marc Nahas ist ein bekann­ter Künst­ler. Der Maler und Zeich­ner hat in Paris stu­diert und spä­ter eini­ge Jah­re in Kana­da ver­bracht. Aber immer wie­der hat es ihn zurück in den Liba­non gezo­gen. Ich habe Jean-Marc Nahas zufäl­lig in Bei­rut getrof­fen. Her­aus­ge­kom­men ist ein Gespräch über sein Leben, über den Krieg, die­ses im Liba­non all­ge­gen­wär­ti­ge Schreck­ge­spenst, sowie über sei­ne Gedan­ken und Plä­ne für die Zukunft.

Mar Mik­ha­el wür­de man in Deutsch­land wohl als Sze­ne­vier­tel bezeich­nen. Es gibt dort Gale­rien, Restau­rants und Bars. Vie­le der Loka­le sind bis zum frü­hen Mor­gen geöffnet.

Jean-Marc NahasDie meis­ten der Häu­ser sind von fran­zö­si­scher Kolo­ni­al­ar­chi­tek­tur geprägt. Cha­rak­te­ris­tisch sind auch die bun­ten Trep­pen, die hoch nach Jei­ta­wi füh­ren. Mar Mik­ha­el ist auch ein Stadt­teil der Krea­ti­ven, der Unangepassten.

Jean-Marc Nahas war mit Zeich­nen beschäf­tigt, als ich ihn traf, und sass vor dem Café Inter­na­zio­nal, einem belieb­ten Treff­punkt. Eini­ge Tage spä­ter sind wir ver­ab­re­det und ich stei­ge hin­auf in den sechs­ten Stock. Dort, über den Dächern von Mar Mik­ha­el hat er sein Ate­lier. Der Fahr­stuhl funk­tio­niert nicht. Es ist nor­mal, dass im Liba­non irgend­et­was nicht funk­tio­niert. Man gewöhnt sich dar­an. Es wird improvisiert.

Als ich spä­ter das Haus wie­der ver­las­se, ist es dun­kel gewor­den. Ich habe viel erfah­ren über Nahas, der in jun­gen Jah­ren an der Eco­le natio­na­le supé­ri­eu­re des Beaux-Arts in Paris stu­diert hat. Und über den APEAL (The Asso­cia­ti­on for the Pro­mo­ti­on and Exhi­bi­ti­on of the Arts in Leba­non) sagt:

“The­mes of war and vio­lence domi­na­te his work, espe­ci­al­ly his sketch-style nar­ra­ti­ve patchworks.”

Jean-Marc Nahas

War­um hast Du damals dem Liba­non den Rücken gekehrt?

Im Liba­non war Krieg, es war gefähr­lich. Des­we­gen hat mich mei­ne Fami­lie nach Frank­reich geschickt. Sie hat­ten mein Talent erkannt. Ich habe mich in Paris aber eher wie ein Tou­rist bewegt, nicht wie ein Stu­dent. Ich war damals schon ein Anar­chist, der sich an Regeln nicht gewöh­nen konn­te. Ich woll­te mich vor allem selbst fin­den, das war das wich­tigs­te. Und bes­ser als Picas­so woll­te ich wer­den, das war mein Ziel. Dafür war ich war bereit zu kämp­fen. Und um zu über­le­ben natür­lich auch, ange­sichts des Krie­ges in mei­nem Land.

Wie lan­ge warst Du in Frankreich? 

Fünf, sechs Jah­re. Dann bin ich zurück­ge­kehrt in den Liba­non. Aber nicht für lan­ge. Es war noch immer Krieg und ich bin des­we­gen nur ein Jahr geblie­ben. Rund fünf Jah­re war ich anschlie­ßend in Mon­tré­al. Dann hat­te ich genug. Ich muss­te wie­der zurück. Fünf kal­te Win­ter in Kana­da haben mir gereicht.

Das war nach Kriegsende?

Ich weiß das Jahr nicht mehr. Ich hän­ge nicht an Jah­res­zah­len. Die mer­ke ich mir nicht, das ist nicht wich­tig. Aber es muss nach Ende des Krie­ges gewe­sen sein, ja. Ich woll­te zurück, weil ich das Gefühl hat­te, mein Land braucht mich. Ich woll­te ihm mei­ne Kunst wid­men. Aber letz­ten Endes war es eine schlech­te Ent­schei­dung zurück­zu­kom­men. Für mei­ne Kar­rie­re wäre es bes­ser gewe­sen, wie­der nach Paris zu gehen. Oder nach New York. Hier im Liba­non ist der Markt zu klein. Mei­ne Kunst passt nicht zu so einem klei­nen Land. Stell Dir das mal vor, der Krieg war vor­bei und dann kam ich auf ein­mal und fing an, nack­te Frau­en zu zeichnen.

Jean-Marc Nahas

Was ist das Ziel Dei­ner Arbeit? Was willst Du mit Dei­ner Kunst erreichen?

Ich möch­te die Gesell­schaft ver­än­dern, will mei­nen Bei­trag zum Umbruch des Lan­des leis­ten. Als ich 17, 18 war, kann­ten wir doch kei­ne Frei­heit. Wir wuss­ten nicht ein­mal, was das ist. Ganz schlimm war damals die Tei­lung Bei­ruts. Gefühlt hat sie 100 Jah­re gedau­ert. Es war wie Klaus­tro­pho­bie. Inzwi­schen hat sich eini­ges ent­wi­ckelt, Mar Mik­ha­el ist ja auch ein Ergeb­nis. Du siehst hier jetzt Leu­te mit Tat­toos rum­lau­fen. Das wäre vor 15 Jah­ren nicht vor­stell­bar gewe­sen. Aber ich den­ke nicht, dass mei­ne Kunst ihre Auf­ga­be erfüllt hat. Dabei habe ich so viel Ener­gie, dass ich oft unun­ter­bro­chen arbei­te. Nur kann lei­der nie­mand den Men­schen an sich ändern. Die gan­ze Evo­lu­ti­on hat im Prin­zip nichts bewirkt. Gewalt, das ist das, was immer exis­tent ist. Gewalt gegen Kin­der, Gewalt gegen Tie­re. Das macht mich sehr betrof­fen. Wir Men­schen sind extrem, schlim­mer noch als Tie­re. Nach dem Ende des Krie­ges habe ich mein gan­zes Lei­den, mei­ne gan­ze Angst in die Male­rei gesteckt. Es war mei­ne Sucht, mein Ven­til. Statt dem Alko­hol zu ver­fal­len oder Dro­gen zu neh­men habe ich gemalt.

Auf Dei­nen Bil­dern sind aus­schließ­lich trau­ri­ge, ängst­li­che Men­schen zu sehen. Warum?

Ich bin selbst kein fröh­li­cher Mensch. Ich bin trau­rig. Und depres­siv. Des­we­gen kann ich nicht anders. Ich kann kei­ne fröh­li­chen Men­schen malen. Aber ein wenig hat sich das schon geän­dert, frü­her war das noch viel schlim­mer. Was mich heu­te moti­viert, ist mein Sohn. Alles, was ich mache, mache ich für ihn.

Jean-Marc Nahas

Wo führt der Weg hin für den Liba­non, wie geht es weiter?

Das ist schwie­rig. Wenn Du mich fragst, wird sich nichts ändern. Es wird alles so blei­ben. Es wäre am bes­ten, wenn wir als Nati­on  unse­ren eige­nen Weg gehen wür­den. Unab­hän­gig von West und Ost. Und wir müs­sen end­lich ler­nen, uns nicht län­ger gegen­sei­tig umzu­brin­gen. Was wir dazu aber brau­chen, ist eine neue Füh­rung. Aber lei­der gibt es nie­man­den, ich sehe kein Licht am Horizont.

War­um gehst Du nicht selbst in die Politik?

Das habe ich doch nicht gelernt. Es wür­de nicht funk­tio­nie­ren. Ich muss das tun, was ich kann. Ich muss voll­enden, was ich begon­nen habe. Hel­fen wür­de ich der Poli­tik, klar, aber Men­schen füh­ren, das kann ich nur in mei­nen Träumen.

Was liebst Du an Dei­nem Land?

Ich lie­be den Liba­non nicht. Ich mag mein Land, aber ich lie­be es nicht. Ich bin doch kein Ame­ri­ka­ner. Die lie­ben ihr Land. Wie soll­te ich den Liba­non lieben?

Was wird Dein Sohn spä­ter machen?

Das weiß er noch nicht, er ist jetzt 15. Aber wenn er 18 ist, wer­de ich mit ihm das Land ver­las­sen und nach Euro­pa gehen.


Eine Aus­stel­lung in Deutsch­land wür­de Jean-Marc Nahas rei­zen. Bis­her hat er sei­ne Wer­ke unter ande­rem in Lon­don, Paris, Brüs­sel, Kuwait und Dubai präsentiert.

Mein Dank geht an das Bei­rut Exhi­bi­ti­on Cen­ter, wo man mir freund­li­cher­wei­se zusätz­li­che Fotos zur Ver­fü­gung hat. Auch dort hat Jean-Marc eine Platt­form für sei­ne Kunst.

Autor, Reisereporter und Reiseblogger. Nachdem man ihn dazu gebracht hat, seine vorherige berufliche Karriere zu beenden (um das böse Wort Mobbing zu vermeiden), treibt ihn die Neugier hinaus in die Welt und er erzählt Geschichten von unterwegs.

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